Halina Birenbaum *
Vom Ende an
Gedichte
![]() * Halina Birenbaum |
Halina Birenbaum – Schriftstellerin, Dicherin und Übersetzerin – 1929 in Warschau geboren, überlebte die Schrecken des Holocaust und war am Ende des zweiten Weltkrieges gerade 15 Jahre alt Seit 1947 lebt sie in Israel. Ihr Hauptwerk "Die Hoffnung stirbt zuletzt" erschien in Polen, Israel, Deutschland, den USA, Japan und Frankreich und wurde fast ein Klassiker der Holocaustliteratur. Ihre Gedichtbände publizierte sie polnisch, hebräisch, englisch und deutsch.
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Wie gut wenn... |
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Bäume Schweigen |
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Was ist für mich Frieden? |
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Wenn es möglich wäre... |
Halina Birenbaum
Aus dem Polnischen mit Nea Weisberg-Bob
Mein Leben hatte am Ende seinen Anfang …
Zuerst lernte ich den Tod, die Grausamkeit kennen
Und erst danach die Geburt
In Ruinen aufgewachsen, unter der Herrschaft des Hasses
sah ich erst später, wie man ein Heim erbaut
Das war die gewohnte Atmosphäre meiner Kindheit
Später erst sah ich auch Licht
entdeckte das Blühen
Nur die Liebe kannte ich immer
Auch wenn es noch schlimmer als schrecklich war
selbst in der Hölle begegnete sie mir.
Mein Leben begann am Ende
und kehrte zum Anfang zurück
Ich bin wieder auferstanden
Nichts war umsonst
Denn die Hoffnung stirbt zuletzt.
In mir ist die Kraft nicht aufzugeben
Ich bin ein Beweis
1983
Halina Birenbaum
Aus dem Polnischen mit Nea Weisberg-Bob
Nach und nach
habe ich sie zerstreut,
die sonderbare Mischung
aus Tränen, fernem Lächeln,
Schmerz und Sehnsucht.
Bilder, die nur noch in meinem
Gedächtnis vorhanden sind –
wie Blumen im Wind
zerstreut
vom Wind in alle Richtungen
verweht.
Halina Birenbaum
Deutsch: Kurt Langer
Aus jeder Begegnung
bleibt ein Wort
ein Lächeln
eine Träne
wie eine Blume,
die aus kargem Boden erwächst
durch gefrorenen Grund
sich durchsetzt
ein Erlebnis
aus jeder Begegnung
2000
Halina Birenbaum
Zwischen den Zeilen eines Gedichts
Aus dem Polnischen mit Nea Weisberg-Bob
Zwischen den Zeilen eines Gedichts
ist Leere,
Geburt, wachsendes Leben
Zwischen den Zeilen eines Gedichts
bedroht mich nichts
keine Angst, keine Unterdrückung,
keine Benommenheit, kein Welken
Zwischen den Zeilen eines Gedichts
ist so viel Raum.
Dez. 1987
Halina Birenbaum
Aus dem Polnischen mit Nea Weisberg-Bob
Ich –
nicht der Blumen wegen
Nicht der Teiche, Vögel, Steine wegen,
Nicht aus Eifersucht
Nicht um des Todes willen
Nicht aus Hass
Auch nicht aus Liebe –
Spät habe ich begonnen,
deswegen nur:
Augenblicke,
Krumen
Gedankenfetzen
Nachsinnen
der Eindrücke
der Erinnerung halber
einem freundlichen Lächeln
verschiedener Tränen wegen
In der Freiheit
1985
Zosia -
Picture by Sophia Kalski
née
Körbholz;
in the background, the poem by Halina Birenbaum: "The Little Girl from the
Shoah"
Halina Birenbaum
Übersetzung aus dem Polnischen mit Ruth Schubert
Ich sehe mich immer
als jenes kleine Mädchen
ich spüre sie in mir unaufhörlich
auch an der Schwelle des Alters
ich erinnere mich nur an sie
ich identifiziere mich mit ihr
alles andere rückt fern von mir
in die Vergessenheit
übergroß in mir ist das ewige Mädchen
aus den Holocaustjahren
sie will nicht versinken in den Schatten
der Jahre und Ereignisse
sie läuft mir nach in der Spur meines Weges
sie erlaubt mir nicht erwachsen zu werden
immer steht sie wieder auf aus der Vergangenheit
und flüstert mir zu – sie führt mich
ich kann mit nicht befreien von ihr
schreibe wegen ihr – durch sie
es gibt kein Ende ihrer Erzählungen – es gibt kein Ende
sie wird nie verschwinden
nie sterben
das kleine übergroße Mädchen
die Greisin aus den Holocaustjahren
1985
Halina Birenbaum
Übersetzung aus dem Polnischen mit Nea Weissberg-Bob
Gedenken – ist Leben
meiner umgebrachten Verwandten
Damals
ist Ewigkeit
ihr Leiden – Tod
sind mein Prisma
durch das ich sehe und alles bremse
das ist nicht nur gestern
das ist morgen und heute
Schmerz, Hass dem Übel
und echte Liebe
1991
Halina Birenbaum
Aus dem Polnischen mit Nea Weisberg-Bob
Totes Papier
schweigende Buchstaben gesät
aus lebendigen Worten
in denen
ich bin
nicht existent
nicht sichtbar
anders
und nur wie ein Gedanke sein kann
mächtig, ewig
1984
Halina Birenbaum
Aus dem Polnischen mit Nea Weisberg-Bob
Ich versinke in einer Welt,
die nicht mehr existiert
Immer noch frage ich nach einer Antwort
Ich suche Leben bei den Toten
Nachts überfällt mich Traum und Wirklichkeit
Ich unterscheide nicht
ob ich dort bin – oder hier?
Alles vermischt sich:
Splitter von Gedanken, Bildern, Wirklichkeit und Traum
Gestern und heute
Gestern und heute ist eins für mich.
1983
Halina Birenbaum
Ein unerwünschtes Thema
Aus dem
Polnischen mit Nea Weisberg-Bob
Ich beginne zu erzählen
Es fällt eine Frage
Schwer wie ein Stein
In hebräisch, polnisch oder deutsch
Wird das Thema wieder "Nazis" sein?
Ich winde mich, stottere
verteidige mich
wie vor Gericht
Es ist für das Leben
um ewiger Erlebnisse willen
wegen all dessen, was den Menschen nahe ist
Liebe, Tränen, Hass
Hier und nicht weniger dort
In den Tagen der Shoah
Was ist zu tun?
Ein unerwünschtes Thema
Unbeliebt
beschämt den Erzähler
beschuldigt den der gedenkt
zeichnet ihn
haftet an ihm wie ein Fluch
aus den Tagen der Shoah
Und doch lauscht der Mensch gebannt
1986
Halina Birenbaum
Was bin ich für eine Mutter?
Aus
dem Polnischen mit Nea
Weisberg-Bob
Was bin ich für eine Mutter?
Immer ernst,
weine scheinbar grundlos,
fürchte mich ohne Anlass
und immer beschwöre ich die Schrecken der Shoah herauf.
Was für eine Mutter!
1984
Halina Birenbaum
Tante Esther
Aus dem Polnischen mit
Nea Weisberg-Bob
Tante Esther erschien plötzlich in der Tür
Strahlend
Einen Moment beobachtete sie mich stillschweigend
dann breitete sie die Arme aus
drückte mich fest an sich
Als ob die verlorene Familie zu mir zurückkehrte
alles von ihnen war in ihr
sanfte Einfühlsamkeit, Wärme und Kraft
Gesichtszüge, Gestalt,
Jiddisch vom Schtejtl, lebend saftig und flüssig
Ich erblickte mich im Spiegel meines Ursprungs
Tante Esther habe ich nie zuvor gesehen
Schon vor meiner Geburt fuhr sie über das Meer
in die Fremde
Mutter erzählte mir von ihr, zeigte Bilder
und saß neben mir im Bett
bis ich einschlief
Jahre später traf ich diese Tante zufällig
Nach der Shoah
Sie wusste nicht, dass ich überlebt hatte
Sie erkannte mich nicht
In Sehnsucht umschlungen
waren wir uns nahe,
als wären wir immer eins gewesen
Wir entsprangen einer Seele,
einer Familie, einem Schtejtl, Jiddischkeit, Traditionen,
vernichtet bis auf den Grund
damals
1983
Halina Birenbaum
Müde
Aus dem Polnischen mit Nea
Weisberg-Bob
Ich bin müde, müde
traurig, einfach so
nichts ist geschehen
es gibt keinen Grund – heute
es fehlt mir an nichts
Doch!
Ich weine
1983
Halina
Birenbaum
Es lohnt sich nicht zu träumen
Aus dem Polnischen mit
Nea Weisberg-Bob
Manchmal geschieht es, dass ein Traum lastet,
er legt sich aufs Herz wie eine Wolke, oder
wie ein schwerer Stein
steigt aus weit entfernten Erinnerungen auf
wie ein schrecklicher Alptraum
Diese Nacht stand ich an der Schwelle des Krematoriums
Man hat mich selektiert – nach links
ich habe gefleht, ein Versteck gesucht
Der Platz war abgeschnitten und taub; streng bewacht
ohne Ausgang, ohne Ausgang!
- Es lohnt sich nicht zu träumen<
1982
Halina Birenbaum
Lange Häuschen – Auschwitz 1985
Aus dem Polnischen mit
Nea Weisberg-Bob
Häuschen, lange, leere
schneeweiß umhüllt
wie aus phantastischen Legenden
von fremder Hand gezeichnet
Stille ringsherum, es gibt keine Lebenden
Es gibt keine Toten – alles ist rein
wie in einem weißen, naiven Traum ...
Nur die Wachtürme am Platz rufen Erinnerungen wach
und der alles umzäumende Stacheldraht
- auch dies alles mit weißem Schnee bedeeckt ...
Bilder, Bilder von "schöngeistigen" Fotografen.
Meine Augen schauen
Meine Augen sehen, was auf den Fotos fehlt
Andere Welten tauchen vor meinen Augen auf
Welten, in denen man Leben auslöschte.
Ich gehöre zur Legende eines jeden dieser langen Häuschen
Der Schnee verwandelt sich in Feuer für mich
Er wird rot, schwarz, modrig ...
ein schreckliches Weinen überflutet alles .... mich
Tränen bedecken alle Bilder
wie feindlicher Regen – wild und schrecklich!
(Geschrieben nach einer
Fernsehsendung über Auschwitz am 26.2.1985; die "langen Häuschen" sind die
Häftlingsbaracken des Lagers)
Halina Birenbaum
Aus dem Polnischen mit Nea Weisberg-Bob
Man nennt sie bitter, beißend,
erstickend
Sie brennen die Augen aus, ritzen Falten ein
Man hat Angst vor ihnen – schämt sich für sie
Man hält sie für ein Symbol der Schwäche, weiblich
Ein Ausdruck von Unglück, Trauer, Krankheit ...
Man flieht vor ihrem Angesicht
Man versteckt sich mit ihnen
Das Schlimmste für mich aber ist, wenn ich sie nicht habe
Das Schlimmste ist, wenn in mir die Quelle versiegt
Denn das heißt, ich fühle nichts mehr
Mich bewegt nichts mehr
ich kann mich nicht sorgen und nicht freuen
ich kämpfe um nichts, ich gewinne nichts
ich erstrebe nichts und erlebe nichts
Das bedeutet, dass mich nichts angeht und ich niemanden
angehe
Wie ein Stein – ein lebendiger Toter.
Tränen sind unersetzlich für mich
Ich muss ihre beißende Flamme unter dem Augenlid spüren
Ich muss ihre nasse, warme Spur auf den Wangen fühlen
Den Würgegriff, das Schütteln im Körper und rasendes
Herzklopfen,
das ihr Rinnen hervorruft.
Ich muss den Trost ihrer Herzlichkeit empfinden
Und den brennenden Schmerz ihrer Bitterkeit
Aus Zorn oder Protest
Ich muss sie in den Augen eines anderen Menschen sehen
Wie eine Spiegelung
Echo aus der Berührung, welches in dem anderen mir zuliebe
geboren wird.
Tränen sind unersetzlich für mich
Ein Schatz, eine Reinigung vom Staub
Aus den Wirren des Alltags, der Müdigkeit, der Erniedrigung
Das ist die Auferstehung, die Geburt
Tränen sind Öffnung
Wahrheit, Leiden und Glück
Tränen sind die Seele –
manchmal verwundet, schmerzhaft, verbittert
manchmal fröhlich, strahlend –
aber nie versteinert.
Tränen sind unersetzlich für mich
Damit ich vollends spüre, lebe, ich besitze ein Herz
Und ich bin wirklich ein Mensch.
1967
Halina Birenbaum
Es ist keine Sünde
Aus dem Polnischen mit Nea
Weisberg-Bob
Es sollte nicht anders sein
Ich versuchte mich einzufügen
Die mir innewohnende Melodie zu vertreiben
Es gelang, sich zu betäuben.
Doch heute weiß ich, es war zu Unrecht
Man betrügt die Seele nicht!
Es ist keine Sünde
traurig zu sein oder anders:
Eine Überlebende der Shoah.
1982
Halina Birenbaum
Aus dem Polnischen mit Nea Weisberg-Bob
Fahrt nach Treblinka!
Öffnet die Augen weit
Haltet den Atem an
Lauscht den Stimmen,
die aus jedem Samen der Erde keimen-
Fahrt nach Treblinka!
Sie warten auf euch
Nach der Stimme eures Lebens dürstend
den Zeichen eurer Existenz
den Schritt eurer Füße
einem menschlichen Blick, verstehend, gedenkend
ein Hauch von Liebe auf ihrem Staub –
Fahrt nach Treblinka!
Aus eigenem, freien Willen
Fahrt nach Treblinka!
voll der Macht des Schmerzes
über die verbrochenen Grausamkeiten
aus tiefem Mitgefühl
mit einem weinenden Herz, das nicht zustimmt
Lauscht den Stimmen mit all euren Sinnen –
Fahrt nach Treblinka!
Die grüne, goldene oder weiße Stille erzählt euch dort
unzählige Geschichten
vom Leben – verboten, unmöglich gemacht, genommen –
Fahrt nach Treblinka!
Schaut, wie die Zeit dort stillsteht
Lauscht der stehengebliebenen Zeit,
dem donnernden Schweigen der Toten,
den Steinen, Abbilder menschlicher Silhouetten,
welche in der Leere weinen
Fahrt nach Treblinka, um einen Augenblick lang zu fühlen –
Fahrt nach Treblinka!
Pflanzt eine Blume in eine heiße Träne
eines menschlichen Seufzens,
bei einem Gedenkstein für dieses vernichtete Volk,
auf die Erde aus ihrer Asche, ihrem Staub –
Sie warten auch euch in Treblinka
Kommt, ihren Geschichten,
welche die Todesstille füllen, zu lauschen
Werdet durch euer Schweigen eins mit ihnen,
um Kunde von eurem Leben zu bringen,
ihrem damals verbotenen;
Gebt ihnen Liebe, die Leben erweckt –
Fahrt nach Treblinka!
in allen Generationen –
Lasst sie nicht allein!
1986
Halina Birenbaum
Deutsch: Nina Hasse
Ich war nur ein Korn
ein Staubpartikelchen
während der Selektion keinen Blick wert
rechts oder links
in ihren Augen wertlos
nicht einmal brauchbar zum Verbrennen
eher klein – schlicht
weder gut noch schlecht
weder ein Kind noch ein Mädchen noch
eine Frau
ich schlüpfte durch die Reihen
ohne die geringste Aufmerksamkeit zu
erregen
ich war nichts wert
weder Ärger noch Bestrafung
so klein, so unbedeutend
ich war nur ein Korn
auf diese Weise habe ich überlebt
aber ich war ein Tonband
und heute erzähle ich über micht selbst
wie aus einem offenen Buch
glücklicherweise unterschätzten sie
die Kraft des Korns
das mit einem Gedächtnis ausgestattet ist
1983
Halina Birenbaum
Deutsch: Stephan Drees
Ich bin immer mit Dir, Mama
und Du bist immer mit mir
Deine Gestalt ist in mir eingeprägt
auf Dauer
trotz jener schrecklichen Trennung
vor dem schlimmen Bad in Majdanek
Du erscheinst vor mir unerwartet
weckst stille Tränen, Erhabenheit
ein wunderbares Gefühl von
Zugehörigkeit
wie vor Zeiten
als ich noch ein Kind war, zuhause
vor der Shoah
1991
Halina Birenbaum
Vielleicht sollte ich die Zeit nicht nennen ...
Aus dem Englischen Christoph Hestermann
Vor über fünfzig Jahren
vielleicht ist es besser
die Zeit nicht zu nennen
in meinem Fall
hat die Zeit keine Bedeutung
immer
lande ich am Ende
bei meiner Mutter
in meiner Kindheit in Warschau
im Ghetto
Vielleicht ist es besser
Nicht mehr zu schreiben
vom vergangenen Krieg –
was ist mit den heutigen, neuen ...
1983
Halina Birenbaum
Aus dem Polnischen von Britta Wutke
Dort inmitten der Gespenster
zwischen den Baracken
Krematoriumsruinen
der Stille voller Geräusche
hörbar nur für mich
Gesichtern, Gestalten
die nur ich sehe
im gegenwärtigen Grün
oder im Weiß des Schnees
vergebliches Stöhnen und Beten
verklungen, aber haftend für immer
in den Wolken, in der Luft
am Himmel über Auschwitz
am Boden, in der Erde
in jedem kleinsten Stein
Sandkorn, rieselndem Staub
dort zwischen der Mischung
aus Asche und Knochenmehl
Seelenschwärmen im Weltraum
umherirrend in Ewigkeit
dort ist auch mein Geist
wo ich auch lebe
wann, wie oder wo ich sterbe
irgendwo wird mein Körper begraben
werden
gekennzeichnet mit der Nummer 48693
hier eintätowiert
1994
Halina Birenbaum
Aus dem Polnischen von Fela Shop
Was sage ich von Lublin und Krakau
Über das alte Wieliczka
oder über die Theater in Warschau
Wenn das Herz in dem von Felsen gepflastertem
Treblinka blutet
In dem in schrecklicher Stille verzaubertem Majdanek
Der zum Himmel schreienden Baracken
In Auschwitz, dessen Namen mir meine Seele
im Leib gefrieren lässt
Welchen Sinn hat es von den guten Eindrücken zu sprechen,
wenn auf mir diese verdammte Masse lastet?
Ich bin doch eine Touristin der Gräber
sogar der nicht existierenden
Ich bin eine Touristin der Orte und Seelen
die von der Erdoberfläche ausradiert sind
1986
Halina Birenbaum
Aus dem Polnischem von Krzysztof Lipiński
Ich wollte etwas schreiben
über die Nummer, die eingegraben ist
in meinen Arm – mein Personalausweis aus Auschwitz
Sie ist in meinem Fleisch
Immer mit mir und so ists schon
seit Jahren. Sie ist nicht verblasst, nicht fahl geworden
keine Ziffer davon verschwand
Stört sie mich? Nein, mich nicht
ich bin schon so an sie gewöhnt
als ob ich sie seit meiner Geburt gehabt hätte ...
Aber machmal, wenn sie auffällt
wenn ich unter Fremden bin
und sie gesehen wird
verscheucht sie
Ich bin nicht gerne im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit
Prüfende Blicke zu spüren, neugierige rätselnde,
brandmarkende
in solchen Augenblicken peinlicher Fragen voller Mitleid
(Oder noch schlimmer, interessierter Fragen ...
wie hoch die von den Deutschen bezahlte Entschädigung ist)
Will ich, dass immer Winter herrsche, weil
dann alles bedeckt ist ... von langen Ärmeln.
1983
Halina Birenbaum
Deutsch: Katharina Toene
Ich bereite gefüllten Fisch zu
Süßen farcierten Fisch der polnischen
Juden
nicht einmal wurde ich hier ausgelacht ....
ein herrlicher Geruch verbreitet sich
ringsherum
Gedanken –
neugierige Erwartung –
auf den so gut bekannten Geschmack
gelingt es mir ihn zu erreichen?
Plötzlich erscheint ein Bild vor meinen
Augen
Mutter sitzt auf einem niedrigen Schemel
vor einem dicken Brett
sie hackt mit dem Hackmesser den Fisch
klein
sie wirft die Masse von einer Seite auf die
andere
hin und zurück – bis zur Ermüdung
mit Geduld, Wissen
ihre Hände sind geschickt,
sie ist ganz konzentriert bei ihrer Arbeit
sie wagt es nicht, die Fische schnell zu
mahlen
sie sollen nicht schwarz werden ...
Ich sehe sie jetzt deutlich
Durch die Nebel der schrecklichen Ferne
sie ist wieder so nah, hier neben mir
ein nachsichtiges Lächeln des Verzeihens
auf ihren Lippen
für die Weise, in der ich mich bemühe, es
ihr gleich zu tun
auf einem einfachen Weg, einem
tadelnswerten Weg
mit Hilfe von einem elektrischen Mixer ...
und die lächelt so
zu mir oder zu sich selbst?
Mit ihrer prachtvollen mütterlichen Milde
mit einer gewissen Verwunderung oder
einem Anflug von Stolz,
dass ich schon groß bin, erwachsen
den Fisch für die Familie zu Feiertagen
zubereite
das Mädchen
von dem man sie weggerissen hat
an der Schwelle des Vernichtungslagers
Majdanek
1991
Halina Birenbaum
Wehe dem, der sich nähern wird
Ubersetzung mit Ruth Schubert, Juni 2002
Die Hand ist nicht imstande
Papier zu berühren.
Die Feder stösst ab -
Ich bin leer erschrocken
Ich kann nicht vor mir selbst fliehen
Kein Ort wird meinen Zustand verändern
Ich bin eingesperrt in meinen Ängsten
Die Traurigkeit hat sich in mir festgesetzt
und sie saugt. Blich aus wie ein Blutegel
Der Tod, den ich in Majdanek berührt habe
er verfolgt mich jetzt
Ich habe ihn aufgeweckt ohne nachzudenken
Ich habe mich als Naive und Dumme erwiesen -
Ich habe nicht gewusst, ich habe nicht erfasst,
Was ein nicht ausgegrabenes Grab bedeutet
und der Schatten des Todes
lauernd in der Baracke von Majdanek!
Das Grab hängt im All
für das menschliche Auge nicht zu sehen
aber wehe dem, der sich
nähert
wird seiner Größe und Tiefe bewusst werden!
Wehe dem,,, seine Endlosigkeit erscheinen wird.
- und ich habe es gewagt
mich vor ihn hinzustellen nackt und klein
berühre das Spinnennetz des Todes, dringe in seinen scheinbaren
Schlaf ein
Er wird die Unverfrorenheit derer nicht verzeihen,
die sich davon geschlichen haben und die seine
Herrschaft berührt hat
Lang sind seine Krallen
endlos seine Macht,
obwohl er Schimmel angesetzt hat und in der Stille ertrunken ist.
Endlich habe ich verstanden - ich habe  p;
es gefühlt nach 40 Jahren.
Wehe dem, der erweckt den Tod.
30.8.1986
Halina Birenbaum
Sie wartete auf mich am Wegrand
Übersetzt aus dem Hebräischen von Ruth Adler-Goldberg Mai 1989
Sie wartete auf mich am Wegrand
Sie wußte daß ich noch einmal zu ihr kommen werde
Sie zu fühlen mit allen meinen Sinnen
Die Mutter meine die Schöne und Junge
Sie wartete auf mich am Wege nach Majdanek
Gegenüber der „Desinfektion“ – Gaskammer
Ich kam von fernsten Fernen nach 40 Jahren
Und sie stand hier – so wie damals trotz ihres Todes
So wie an jenem Tag des Abschieds
Schwarzhaarig, eine Kleine mit fallenden
Locken über ihrer Stirn wie eine Krone
Wangenrot, große Augen von Schlaflosigkeit
Weiße Zähne wie Perlen
Kommen zum Vorschein
Bei ihrem herrlichen Lächeln
Das schönste auf der Welt
Das Lächeln einer Mutter
Die sich bemüht ihr Kind zu beruhigen
Gegenüber Gaskammer und Brennofen.
Ein breiter Wollmantel bedeckt ihren Körper
Und auch mich wickelt sie hinein
Um in diese Hölle, Eine Minute vor der letzten zu pflanzen
Kraft und menschliche Wärme
Einen Funken von Licht und Hoffnung
Hier an diesem Ort, von dem man nur
Entweichen konnte als Rauch durch den Schornstein ...
Nach 40 Jahren kam Ich wieder her
Von einem anderen Land, als erwachsene Frau
Und so wie das kleine Mädchen das ich damals war,
Die sie so liebte und sich so sorgte um ihr Schicksal.
Als ich so aufwärts kletterte
Am Kieselsteinweg fühlte ich ihre Gestalt
Ich rannte ihr entgegen
Mit meiner ganzen Seele
Und so wie damals blieb ich stehen
Wütend vor Schmerz und ratlos
Als ich verstand wurde sie von mir weggerissen
Und ich werde sie nie wieder haben für alle Ewigkeit!
Majdanek, das Reich des Todes, das jetzt schlummert
Wir kamen hier zusammen
Und nun bin ich hier allein –
Ich umarme ihre Gestalt, fühle ihre Anwesenheit
Und sinke in schrecklichen Schmerz
Daß ich so klein und hilflos stehe gegenüber
Der Gaskammer die zu spät erlosch
Ich setzte mich an den Wegrand
Faßte meinen Kopf mit beiden Händen
Und ich weine wahnsinnig mit lautem Gebrüll
Schamlos, ohne Hemmungen
Ich lehne mich an den Schatten meiner Mutter
Die hier ermordet wurde
Ich klammere mich an ihn mit meinem ganzen Wesen
Fest entschlossen ihn mit nach Hause zu nehmen
Über das weite Meer,
obwohl ich eigentlich ewig hier bleiben möchte
Mit meinen Tränen und meiner Mutter
Ich weiß nicht wie ich nach Hause kehrte
während sie dort allein blieb in dieser
schrecklichen Totenstille
Ich stand wie erstarrt, und nur mein
Weinen schüttelte stark meinen Körper
Ein Pole, ein Fremder, Wächter des Museums ging vorbei
Und von einem Hügel am Wegrand rief er zu mir:
Wen hat man dir hier ermordet
Den Du so beweinst?
Als keine Antwort kam, ging er weiter.
Er wandte sich an mich
in der Sprache der Menschen die heute leben
Dagegen war ich mit meiner Mutters Gestalt
Mit ihrem Schatten in der leeren Ewigkeit
Mit ihrem Tod in Majdanek
Und vielleicht auch mit den Meinigen
Geschrieben nach einem Besuch in Polen, Juni 1986.
Halina Birenbaum
Aus dem Polnischen von Helmut Pientka
Vater las herrliche Lieder
Aus alten Büchern vor
Erfüllt von Ergriffenheit und Würde
Übertrug er uns ihre Schönheit
Damals verstand ich deren Inhalt nicht
Jedoch Vaters Rührung und Begeisterung
Nahm ich in mir auf
Vater erläuterte die Bedeutung der Feiertage
Las Sagen von Chanas Aufopferung
Hanukahs Wunder
Von grenzenloser Glaubenshingebung
Ich verstand nicht voll
Fremd klang sogar die Sprache
Seiner innigen Gebete
Ich liebte Vaters Rührung
Gesichtsausdruck – den Glanz seiner Augen
Als er las oder betete
Bis heute lebt in mir dieses Bild
Als man im September Warschau bombardierte
War Vater den Tränen nahe in seiner Ohnmacht
Unser Haus brannte damals aus
Am großen jüdischen Gerichtstag Jom Kipur
Wir liefen auf die brennende Straße hinaus
Vater drückte stark meine Hand
Heftete seine verzweifelten Blicke auf mich
Als ob er um Verzeihung bäte
Ich behielt seinen Blick aus JENEN Tagen in Erinnerung
Im Ghetto betete er öfter als bisher
Suchte Rettung in Gott
Weggeworfenem von vielen während der Schrecklichkeiten
Das erste Mal sah ich ihn weinend wie ein Kind
Bei der Nachricht vom Großvaters Tod in Biała Podlaska
Vater zählte damals über vierzig Lenze
Und seitdem betete er noch öfter
Die Menschen im Ghetto schwollen vor Hunger an
Starben auf Straßen – wir hatten noch Brot
Lernten sogar in Kompletten ¹١
Aus den übrig gebliebenen Büchern nach Bränden ...
Einige Theater spielten forthin im Ghetto
Mein älterer Bruder beschaffte Karten
In „Femina“ führte man die „Csardasfürstin“ vor
Vater verzieh nicht – konnte nicht begreifen
Dass man Theater besuchen kann, während Leichen
Und Sterbende die Straßen bedecken
Ich verstand nicht, hörte nicht auf sein Wort
Bis heute klingen in meinen Ohren seine Worte und Stimme
Vater sagte, man dürfe sich Befehlen nicht widersetzen
Erinnerte an den schrecklichen Strafenamen : Auschwitz ...
In seiner Naivität unterschätzte er die mörderischen Pläne
Der Nazi-Deutschen Okkupanten!
Mutter hatte eine gegensätzliche Meinung –
Vater liebte mit Liedern, Gebeten
Verzweiflung angesichts des Grauens
Mutter mit Kampf oder Fügung in das Schicksal
Den Gott und Menschen folgsamen Vater töteten sie in Treblinka
Die kämpfende und sich wechselweise dem Schicksal fügende Mutter
Töteten und verbrannten sie auf Majdanek
Waren SIE jemals wirklich da? Hatte ich SIE?
Ihr Bild und ihre Qual blickt aus meinen Augen heraus
Durch meine Augen lachen SIE, weinen
Führen mich auf all meinen Wegen
24.08.2003
¹)Komplett: Eine Schülergruppe, die zusammen Unterricht hat
Halina Birenbaum
Auss dem Polnischen von Helmud Pientka
Kleines Kino in Herzliya in Israel
Mein Mann und ich
Deutsche Bomben auf Warschau
Auf der Leinwand
Hitleristen, Tod
Armbinde mit Davidstern
Ghetto
Schuppen – Werkstätten – Placówka – Ausweise:
Recht auf Leben für Juden
In Verstecken, Kellern, auf Dachböden
Unter der Erde
Züge, Viehwaggons
Nach Treblinka
Ins Gas
Höllisches Paradies auf der arischen Seite
Wahnsinn der Einsamkeit, Angst
Chopin
Illusion, Erinnerung - Vergessen
In der Stille des Träumens die Wunder des Pianisten
Heute im Kino
Mein Mann und ich, hier – jetzt
Von hier und von dort
Im Jahr 2002.....
Inmitten der Zuschauer
Den Unsrigen Fremden
Jene die nicht dort waren
Und nichts wissen
Von uns
Die Toten stets lebendigen
Von dort
(31.10.2002 – 31.10.1942)
Halina Birenbaum
Aus dem Polnischen mit Kristina Ulas
Erstes Gedicht:
Aus den Reisen nach
Deutschland habe ich
keine Gedichte
auch die besten Eindrücke
sind ständige Vergleiche mit der Vergangenheit
ständige Erinnerungen
ich strebe sie in das Bewustsein einzubringen
den "Geschmack" den"Geruch"
ihre Tränen und Blumen heute – berühren mich
ich will an sie glauben
ich nehme sie mit mir
in mein Land über das Meer
aber Gedichte
aus die deutschen Reisen
habe ich nicht
1997
Zweites Gedicht:
Ich kehre mich um zu dem blauen
Himmel
zum Licht
nach Hause
von Regen, grau, Nebel
Erinnerungen
Erzählen
Begegnungen
in Deutschland
und wahrscheinlich
dieses Mal
nach der deutschen Reise
kann ich
ein Gedicht schreiben.
30.11.01
Halina Birenbaum
Aus dem Polnischen mit Ruth Schubert
Wäre ich in Treblinka gestorben
bliebe ich mit meinem Vater
wäre ich
in Majdanek gestorben
bliebe ich bei der Asche meiner Mutter
wäre ich
in Auschwitz gestorben
bliebe ich mit meinem Bruder
mit meiner Schwägerin
sollte ich dort sterben
der Tod
wäre für mich
nicht schrecklich
1994
Halina Birenbaum
Aus dem Polnischen mit Ruth Schubert
Ich schreibe Daten
die Geschichten - von nahen Erwartungen
Hoffnungen Sieg Frieden
Die Gegner meiner Hoffnungen
erwarten selbst den Sieg
aus ihren Gründen Bestrebungen
ihrem Willen
Jeder mit seinen Erwartungen
Hoffnungen Glauben
wie kann man sie erreichen
Wenn das Leben selbst kein Grund ist
- kein Sinn?!
2001
Halina Birenbaum
Aus dem Polnischen mit Ruth Schubert
Endloser Terror
nah und gleichzeitig
fern von mir
für eine Weile ...
Ich kenne nicht und sehe nicht
die arabischen Nachbarn
nicht die freundlichen nicht die feindlichen
Ich weiß um ihrer Tragödien und der unseren
ich fürchte mich an sie zu denken
an die Bedrohung
meiner Lieben
meiner selbst
Ich kann nicht vermeiden
die Graumsamkeit
von uns - von niemanden
und es erdrückt mich die Ratlosigkeit –
2001
Halina Birenbaum
Aus dem Polnischen mit Ruth Schubert
Jahr um Jahr geht vorbei
soviele Jahre und eine Weile
Ich gehe mit denen und neben ihnen.
Ich warte immer auf das kommende.
Ich suche immer, verliere, entdecke,
fange an auf´s neue,
errichte, verderbe, wachse und schrumpfe.
Verstehe immer besser,
dass ich so vieles noch nicht verstehe,
nicht kenne, nicht weiss.
Dass ich muss das erst jetzt ergründen,
auslernen, nachjagen, behalten.
Neue Wege finden,
bessere, breitere
nicht verirren
und viel viel Zeit dazu
Jahr um Jahr und Augenblicke – Jahrhunderte
und ich neben denen wir vordem
bis heute dieselbe trotzdem eine andere
solange ich sein werde
17.05.83
Halina Birenbaum
Aus dem Polnischen mit Ruth Schubert
Wieder diese verfluchte Ohnmacht
ich dachte ich werde übersetzen ein beliebtes Werk
aber ich flüchte vor der Arbeit
Einsamkeit hält mich zurück
es fehlt eine Aufforderung
es fehlt eine Adresse
ringsumher Leere trotz Lärm
trotz der Fülle
über mir wachsen Mauern
ich weiß keine Wege zu durchdringen
zwischen eigenem fremd
immer
unabänderlich
2001
Halina Birenbaum
Aus dem Polnischen mit Ruth Schubert
Ich denke
in Bildern eingeschrieben
in mir
ehemals heute
Gefühle vormals und jetzt
in mir
sie zeichnen sich in berührbare Bilder
in meiner Tiefe
nach einer Zeit
hole ich sie
aus mir
verwandle sie in Worte
erneuere sie
wie in einem Spiegel
13.06.00
Deutsch: unbekannte Übersetzerin
Wie gut es in einem leisen sauberen Zimmer ist
wenn der Regen an die Fenster klopft
wenn der kalte Wind am Haus rüttelt
und die Äste der Bäume krümmt
Wie gut ist es dann
wenn gegenüber dem rotglühenden Ofen
man in die Flammen sieht
auf sich die Wärme fühlt
und an nichst denkt
Frei und sicher zu sein
nur sich selbst zu gehören
die Wärme in sich hienein ziehen zu lassen
die Zeit und Träume
wieviel Gutes ist
in einem Funken am heimischen Feuer
1983
Halina Birenbaum
Aus dem Polnischen von Helmut Pientka
Bäume sehen und hören vieles
Nehmen in sich auf, verhüllen
Doch sogar dann wenn sie rauschen –
Schweigen sie
Sie erzählen nicht davon, wovon
Sie Zeugen waren
Sprechen
Weder über herrliche Dinge, die sich
In ihren Schatten ereigneten
Noch über schreckliche –
Klettern zum Licht
Wie wir schmachten sie nach der Sonne
In Dunkelheiten scheiden sie hin
Trocknen vor Brutalität aus
Und schweigen – immer schweigen
Mit einem geheimnisvollen Schatten umhüllen
Verwischen glatt die Spuren
Der Liebe und der Verbrechen –
... auch in Auschwitz
Wuchsen, kletterten gen Himmel
Nahmen in sich auf
Sowohl den Schrei als auch das Feuer und den Rauch
Und schwiegen hartnäckig –
Und ich
Als man mich unter ihnen führte
Entdeckte ich in ihnen ein Lebenszeichen
Ein Existenzbeweis
Meines verbotenen Ich
Ich heftete meine Blicke auf die Bäume
Atmete ihren Duft vermischt
Mit dem Geruch brennender Menschen ein
Ich übertrug ihnen mit den Augen meine Sehnsüchte
Meinen Schrei nach Leben
Nach dem Glauben,
Dass es auch für mich wird
Möglich sein?
Ich betete um Erhaltung der Spuren
Meiner Existenz auf dieser Welt ...
Viele wie ich beichteten hier den Bäumen
Flehten nach Erinnerung
Wünschten, sich in ihre Gipfeln empor zu klimmen
Um wegzufliegen.
Ihre Spuren gingen verloren, wurden verwischt,
Verweht
Und die Bäume sahen es, hörten es
Und ihrer Gewohnheit nach
Wuchsen, grünten sich – und schwiegen
Weinten nicht über die menschliche Qual –
Vielleicht lachten sie sogar dort?
Berauschten sich am Geruch brennender Menschen
In Höllischem Zauber verhext?
Und verwandelten sich in etwas anderes
Als sie bisher waren?
Sie schweigen ständig –
Mir kleiner Person wurde gegönnt zu überleben
Um zu erzählen
Von den Nazi-Deutschen Ungeheuern,
Von Menschen, von Bäumen – Zeugen
Von ihrem unveränderlichen Schweigen
Angesichts jeden Augenblicks
Angesichts jeden Ereignisses
Dennoch
Liebte und liebe ich Bäume
Ihrem Schatten vertraue ich an
Meinen Schmerz, meine Sehnsucht, Träume –
In ihrem Rauschen vereinige ich mich
Mit meinen Nächsten
Hingerichteten
Mit der Welt
Die einst existierte
Und zerstört wurde
Und ich in ihr – Wir
Diese feierliche Stille der Bäume
Ihr unverbesserliches, geheimnisvolles Schweigen
Bedeutete damals Hoffnung
Und heute Linderung
2003
Halina Birenbaum
Deutsch: Imke Just
Es ist ein ewiger Traum,
dass unser Alltag nicht zerstört wird.
Frieden ist für mich jeder Tag ohne Bomben, ein klarer Himmel ohne
Bomben, ein klarer Himmel ohne
feindliche Aktionen, die den Tod bringen
heute durch Raketen.
Frieden ist mein Traum zu leben, ohne die
Angst, mein Heim, unser Leben zu
verlieren, das Leben unserer Lieben,
Kinder, Freunde!
Frieden bedeutet den Kopf frei zu haben
Für die kleinen, alltäglichen, normalen
Menschlichen Probleme ....
Für mich bedeutet Frieden aber auch die
Bereitschaft zu kämpfen, wenn diese
normale Existenz – das heisst der Frieden
von jemandem bedroht wird.
1998
Halina Birenbaum
Aus dem Polnischen mit Ruth Schubert
Wenn
es möglich wäre mit Liebe
verbrennen
zu Asche
die früheren Gestalten
das Schlimme
Wenn es möglich wäre
aus dieser Asche
wieder zu leben
neu
besser
Wenn es möglich wäre
mit Tränen
abwaschen das Nichtglauben
die Verzweiflung an das existierende
Kostbare -
- ich weine und liebe
dann ist es wahrscheinlich möglich
2.03.2000
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Last updated November 30th, 2008